Wende-Punkte 1914-2014

Interdisziplinäre Konferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien Konferenzausschreibung (call for papers & posters) Wir freuen uns, Ihnen die diesjährige Konferenz „Wende-Punkte 1914-2014: Internationale Perspektiven auf Deutschland und Europa“ der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien ankündigen zu können, zu der der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) vom 11. bis 13. Dezember 2014 in Berlin einlädt.

Ausschreibung der Podienbeiträge

Wir laden alle Forscher/-innen sowie alle Doktorand/-inn/-en und Masterstudierenden mit einem fortgeschrittenen Forschungsvorhaben an aktuell oder ehemals vom DAAD geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien ebenso wie weitere Wissenschaftler/-innen mit entsprechenden Forschungsinteressen ein, sich um die Mitwirkung an einem Podium zu bewerben. Die Beitragsvorschläge können aus allen Fächern der Sozial- und Kulturwissenschaften stammen, z.B. Politik-, Rechts-, Wirtschafts-, Geschichts-, Literatur- und Sprachwissenschaften, Soziologie, Geographie, Kunstgeschichte etc.

Thema

Die neuere deutsche Geschichte gilt als besonders reich an Brüchen und raschen Veränderungen. Diese zu analysieren, zu hinterfragen und zu kontextualisieren nimmt sich die interdisziplinäre Konferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien 2014 vor, in dem Jahr also, das u.a. vom Gedenken an die historischen Wendepunkte in Europa 1914, 1939 und 1989 geprägt ist. Der Begriff der Wende-Punkte zielt auf das vielschichtige Verhältnis von Zäsur und Kontinuität ab, das in der jüngeren deutschen und europäischen Geschichte ein nahezu klassisches Thema für akademische Forschungen wie öffentliche Kontroversen darstellt. Zugleich offenbart der in den weltweiten DAAD-Zentren für Deutschland- und Europastudien vorhandene Blick von außen eine besondere Sensibilität für die vielfältigen Interaktionen, Transferprozesse und Verflechtungen, die das Geschehen in Deutschland und Europa mit weiteren Regionen und Räumen verknüpften. Somit nähert sich die Konferenz dem deutschen und europäischen 20. Jahrhundert über die zentralen Begriffe der Wendepunkte und der Übergangsprozesse. Geplant ist ein interdisziplinäres Programm mit einer Vielzahl thematisch organisierter Panels. Wir laden Wissenschaftler und Nachwuchswissenschaftler aus den vielfältigen, an den Zentren für Deutschland- und Europastudien und ihren Partnerinstitutionen verorteten Disziplinen zur Einreichung von Proposals zu unten genannten Schwerpunktthemen ein (S. 4 ff.). Dabei sind insbesondere auch solche Vorschläge willkommen, die die globalen, internationalen und transnationalen Bezüge Deutschlands und Europas berücksichtigen.

Podien

Das Leitthema soll in jeweils interdisziplinär besetzten Podien von je 90 Minuten Länge aufgefächert werden. Auf jedem Podium werden drei Forscher/-innen und/oder Nachwuchswissenschaftler/- innen mit eigenen Beiträgen auftreten, die der wissenschaftliche Beirat der Konferenz aus den eingesandten Bewerbungen auswählt. Um eine intensive Diskussion zu ermöglichen, sollen die ausgearbeiteten Beiträge spätestens acht Wochen vor der Konferenz vorliegen, allen Konferenzteilnehmern zur Verfügung gestellt und auf den Podien in max. 10 Minuten von den Autor/-innen zusammengefasst werden. Die schriftlich eingereichten Beiträge sollten eine Gesamtlänge von 10 Seiten (plus Bibliographie) nicht überschreiten. Die Diskussion wird jeweils von einer erfahrenen Podiumsleitung moderiert. Konferenzsprache ist Deutsch, in der Diskussion sind aber auch Wortbeiträge in englischer Sprache willkommen.

Ausschreibung einer Postersession

Alle Zentrenleiter/-innen sind zusätzlich herzlich eingeladen, pro Zentrum eine/-n Doktorand/-in/-en oder eine/-n Masterstudierende/-n an ihrem jeweiligen Zentrum, der/die noch am Beginn seines/ihres Forschungsvorhabens steht, für die Teilnahme an einer Postersession vorzuschlagen. Lebenslauf und Projektskizze können formlos per E-Mail eingereicht werden (Kontaktdaten s.u.). Die Einsendefrist für Kurzbeschreibungen der geplanten Beiträge oder Poster (1 DIN A4-Seite bestehend aus Abstract (ca. 500 Wörter), Kurzbiographie und max. 5 bibliographische Angaben) endet am 2. Juni 2014 (Poststempel oder Emaileingang). Die Unterlagen senden Sie bitte an: Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) Referat 331 Herrn Christian Strowa Kennedyallee 50 D-53175 Bonn oder elektronisch an: (strowa@daad.de) Bitte geben Sie ggf. an, für welches der Podien Sie Ihren Beitrag vorschlagen. Der DAAD wird Sie Anfang Juli 2014 darüber informieren, ob Ihre Bewerbung vom wissenschaftlichen Beirat der Konferenz für das Programm ausgewählt wurde oder nicht. Kostenerstattung: Der DAAD fördert die Konferenzteilnahme, Reise, Unterkunft und Verpflegung der Wissenschaftler/-innen, die für die Mitwirkung an einem Podium ausgewählt wurden, sowie der Moderator/-innen und der Nachwuchswissenschaftler/-innen, die ein Poster präsentieren. Reisekosten werden auf Basis geltender Pauschalen (s. Anhang) ausgehend von der Heimatuniversität nach Berlin bezuschusst. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden für die Dauer der Konferenz von Donnerstagabend bis Sonntagfrüh vom DAAD übernommen (inkl. Empfang am Donnerstagabend, ausgenommen ist die Abendverpflegung am Freitag und Samstag). Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie rechtzeitig unter: http://www.daad.de/des (http://www.daad.de/des) Bitte informieren Sie auch interessierte Kolleginnen und Kollegen über die Tagung.

Schwerpunktthemen

1) Krieg, Genozid und die Nachwirkungen

Das 20. Jahrhundert war ein im höchsten Maße von Gewalt geprägtes Jahrhundert und Deutschland war daran zentral beteiligt. Die beiden Weltkriege gehören zu den formenden Wende-Punkten der neueren Geschichte. Zudem versuchten mehrere politische Regime – NSDeutschland , die Sowjetunion unter Stalin, das Osmanische Reich während des Ersten Weltkriegs – gezielt ganze Bevölkerungsgruppen auszulöschen. Wie ist diese geballte Entfesselung von Gewalt zu erklären? Welche Interaktionen gab es im 20. Jahrhundert zwischen Krieg und Genozid? Wodurch wurde der Genozid zu einem weitverbreiteten Element der Politik des 20. Jahrhunderts? War der Völkermord das Ziel an sich, oder verfolgte man damit instrumentelle Ziele? Kann der Holocaust mit anderen Völkermorden verglichen werden oder soll und muss er für sich allein betrachtet werden? Unterschieden sich die Völkermorde des 20. Jahrhunderts von früheren Massenmorden an ethnischen Gruppen hauptsächlich hinsichtlich der verfügbaren Mordinstrumente oder waren auch die ideologischen und ethnischen Absichten, die damit verfolgt wurden, fundamental unterschiedlich? Welche ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Nachwirkungen hatten diese Völkermorde – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Länder, in denen sie begangen wurden? Unter diesen Gesichtspunkten wird Beiträgen, die theoretische Ansätze bieten und Erklärungsmodelle aufzeigen, der Vorzug gegenüber rein deskriptiven Ansätzen gegeben.

2) Emanzipation und Menschenrechte

Das 20. und das beginnende 21. Jahrhundert sind auch durch das Ringen um Emanzipation und die Geltendmachung von Menschen- und Bürgerrechten gekennzeichnet. Dabei haben katastrophische Wendepunkte – wie der Zweite Weltkrieg und die Ermordung der europäischen Juden, aber auch koloniale Unterdrückungserfahrungen – zur Einsicht in die Notwendigkeit eines verlässlichen (und idealiter globalen) Menschen- und Grundrechtsschutzes beigetragen. Sowohl die Gründung der Vereinten Nationen und die europäische Integration als auch die Etablierung globaler und regionaler Menschenrechtsverträge können als Reaktionen auf die Erfahrungen von Unterdrückung und Gewalt in den vergangenen einhundert Jahren gelten. In den Teilen Deutschlands und Europas hinter dem „Eisernen Vorhang“ schließlich führte die Berufung auf Menschenrechte – insbesondere nach Helsinki 1974 – zu einer neuen Herausforderung der staatssozialistischen 5 Diktaturen. Dass das Ringen um die Gewährleistung von Menschen- und Bürgerrechten allerdings keine Frage der internationalen Politik allein ist, sondern v.a. als eine nationale und gesellschaftliche Aufgabe an Gestalt gewann, zeigt sich insbesondere an der Bedeutung von gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich – zunächst v.a. in Westeuropa und Nordamerika – Bürgerrechtsbewegungen gebildet, die die Emanzipation und Gleichstellung politisch und gesellschaftlich marginalisierter Gruppen einfordern. Dass gesellschaftliche Chancen und Teilhabe nicht von – inter alia – geschlechtlichen, ethnischen oder religiösen Gruppenzugehörigkeiten abhängen dürfen, ist dabei Gegenstand identitäts- und anerkennungspolitischer Emanzipationsbewegungen, während die Frage nach der Konstruktion von Identitäten und Alteritäten sowie nach der Funktionsweise von gesellschaftlichen Exklusions- und Inklusionsmechanismen zu einem wichtigen Feld der Kultur- und Sozialwissenschaften avanciert ist.

3) Migration, Vertreibungen und Vielfalt: Zerstörte und neue Welten

Migrationen gehören zu den Grunderfahrungen der Menschheit und sie haben auch das 20. Jahrhundert zutiefst geprägt. Manche Menschen verließen ihre Heimat freiwillig und auf der Suche nach Arbeit, Wohlstand oder Abenteuer. Andere hingegen wurden durch gewaltvolle Auseinandersetzungen oder politische Konflikte und damit verbundene Grenzveränderungen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Manche blieben für immer in ihrer neuen Umgebung, andere kehrten, wenn überhaupt möglich, viele Jahre später wieder in ihre Herkunftsregionen zurück. Beispiele für gewaltfreie wie erzwungene Auswanderungen finden wir in der deutschen und europäischen Geschichte an prominenten Stellen – nicht selten hängen sie direkt mit historischen Wende-Punkten im 20. Jahrhundert zusammen. Dabei richteten sich politische Machtkämpfe und ideologischer Wahn gegen bestimmte nationale oder gesellschaftliche Gruppen, die auf diese Weise zu „Minderheiten“ gemacht wurden. Besonders der Zweite Weltkrieg brachte große Bevölkerungsverschiebungen mit sich, die z.B. im Namen der Lebensraumerweiterung oder des Klassenkampfes unterschiedlich begründet waren. Aber auch freiwillige und insbesondere Arbeitsmigrationen nach Deutschland gab es in beiden Hälften des 20. Jahrhunderts, als Arbeitskräfte aus dem östlichen Europa und seit den 1960er Jahren zunehmend auch aus Südeuropa und der Türkei einwanderten. In jüngerer Zeit berührt das Thema auch Asylsuchende und Flüchtlinge, über den Status der Bundesrepublik als „Einwanderungsland“ wird öffentlich debattiert. 6 In diesem Panel sollen u.a. die unterschiedlichen Migrationsformen hinsichtlich des zugrundeliegenden Maßes an Gewalt, Zwang und Freiwilligkeit beleuchtet und in den historischen Kontext gesetzt werden. Zu betrachten ist dabei auch die Art der Aneignung der neuen kulturellen Landschaften und der Prozess einer (Wieder-)Entdeckung des eigenen Kulturerbes sowie seiner Adoption und Umgestaltung. Häufig blieb ein Rest nationalen Bewusstseins oder lokaler Identität erhalten, was wiederum Einfluss auf die unterschiedlichen Ansiedlungsorte hatte. Die Migrationsthematik ist dabei nicht nur historisch zu beleuchten; viele ihrer Aspekte prägen die Gegenwart: Migrationsprozesse endeten nicht, sie dauern bsi heute an und bestimmen auch unsere Gegenwart.

4) Erinnerungskulturen, Aufarbeitung und Geschichtspolitik

Wann, wie und warum wird ein historisches Ereignis zu einem Wende-Punkt? Dieses Panel lädt ein zum Nachdenken über die narrative Konstruktion von Wende-Punkten im Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Erinnerung. In welchem Maße und auf welche Weise haben Deutschland und andere europäische Staaten die Geschichte des 20. Jahrhunderts „aufgearbeitet“, und was ist die Zukunft dieser Vergangenheit? Welchen politischen und sozio-kulturellen Bedingungen unterliegen diese Erinnerungsnarrative? Welche besondere Bedeutung kommt in diesem permanenten Aushandlungsprozess der Literatur, Kunst und Kultur zu? Bei diesen Fragen sollten die innereuropäischen Unterschiede im Umgang mit Erinnern und Vergessen, mit Aufarbeitung, Versöhnung und Verdrängung in den Blick genommen werden. Zugleich gilt es, die Herausforderungen und Möglichkeiten eines gemeinsamen europäischen Erinnerungsraumes auszuloten.

5) Widerstand und Kollaboration

Die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert stand unter dem Zeichen zweier totalitärer Systeme: dem deutschen Nationalsozialismus und dem sowjetischen Kommunismus. Beide Systeme erfreuten sich einer gewissen Akzeptanz innerhalb der jeweiligen Gesellschaften. Sie lösten allerdings auch den Widerstand eines Teils der Bevölkerung aus, der im Namen unterschiedlichster Werte – politischer, religiöser, ökonomischer – gegen diese „Systemrevolutionen“ gerichtet war. Für ihre Haltung wurden Oppositionelle schikaniert, verfolgt, bestraft; viele von ihnen haben ihren Widerstand mit dem Leben bezahlt. Die beiden Regime unterdrückten den Widerstand und die Opposition und unterstützten den Konformismus sowie das Zusammengehen der Gesellschaften mit der Staatsmacht. In besetzten oder annektierten Gebieten bestärkten sie die Kollaboration und stützten sich darauf. Das Ziel dieses Panels ist die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Haltungen gegenüber der Nazi-Diktatur sowie dem kommunistischen System. So können beispielsweise Fragen in den Blick genommen werden, die sich mit unterschiedlichsten Formen von Kollaboration und Widerstand beschäftigen. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich dabei zwischen den verschiedenen politischen Systemen ausmachen, und welche inneren Widersprüche halten schon die Begriffe „Kollaboration“ und „Widerstand“ für uns bereit?

6) Demokratie und ihre Feinde

Nach zwei Weltkriegen und dem Kalten Krieg ließe sich der Zeitraum 1914–2014 in Deutschland und Europa in gewisser Hinsicht als der langwierige Siegeszug der Demokratie bezeichnen. 1992 behauptete der amerikanische Politologe Francis Fukuyama gar, die Geschichte sei nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Triumph der liberalen Demokratie zu Ende. Die Geschichte hat sich jedoch als zählebig erwiesen. Die Erwartung von Fukuyama und anderen Neokonservativen, dass sich die Demokratie zwangsläufig durchsetzen werde, hat sich nicht erfüllt: Die Kriege seit den 90er Jahren – z.B. auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan –, an denen auch europäische Streitkräfte teilgenommen haben, die Internationalisierung des Terrorismus und der Aufstieg von Regional- oder Großmächten, die nicht dem westlichen Demokratieideal verpflichtet sind, unterstreichen, dass der Konkurrenzkampf zwischen Demokratien und Autokratien, zwischen demokratischen und antidemokratischen Strömungen, vielleicht stärker denn je auf der politischen Tagesordnung steht. 1914 brach der Erste Weltkrieg im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Autokratie aus, und dieses wechselnde Spannungsfeld bestimmte weitgehend die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa und deren Wendepunkte 1918-19, 1933, 1939, 1945, 1949, 1961, 1989-90. Erleben wir 2014 statt einer Verbreitung bzw. Vertiefung von demokratischen Ideen und Institutionen vielmehr eine Rückkehr zur Weltmachtpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, in der vorwiegend autoritäre Nationalstaaten ihre selbstsüchtigen Interessen verfolgen? Ist die Demokratie ein Auslaufmodell in den weltpolitischen Machtkämpfen von heute und morgen? Und welche Rolle spielte und spielt der Terrorismus in diesem Kräfteverhältnis? Unter diesen sowohl historischen als auch zeitgenössischen Gesichtspunkten wird um Beiträge zum Thema „Demokratie und ihre Feinde“ gebeten.

7) Deutsche und/oder europäische Außenpolitik?

Die anhaltende Finanz-, Schulden-, und Währungskrise in der Europäischen Union scheint sich mittlerweile zu einer grundlegenden Vertrauenskrise ausgeweitet zu haben, in der die Idee eines geeinten Europa insgesamt zur Disposition steht – bzw. gestellt wird. Insbesondere in erstarkenden sogenannten europaskeptischen Positionen wird die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf nationale Interessenspolitik geltend gemacht. Zugleich werden gerade durch die aktuellen Krisensymptome die Verflechtungen und Interdependenzen zwischen den Gesellschaften, den Ökonomien und politischen Systemen in Europa deutlich. Ein zukunftsfähiger Umgang mit den aktuellen Herausforderungen in Europa scheint daher nicht in einem ‚Weniger Europa‘, sondern in einem ‚Mehr Europa‘ zu liegen – das dabei aber auch plausible Antworten auf die Probleme des Demokratiedefizits, der technokratischen (Über-) Regulierung sowie der Distanz zu den Bürgern Europas finden muss. Der Erfolg einer vertieften Integration der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten wird sich dabei nicht zuletzt an der Konstituierung einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik messen lassen müssen. In diesem Bereich ist die europäische Integration bislang am wenigsten fortgeschritten, so dass die europäische Außenpolitik oft aus einer Kakophonie nationaler Regierungen besteht. Die Frage nach einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik bzw. nach dem Verhältnis von nationaler und europäischer Außenpolitik stellt sich insbesondere auch für Deutschland, das nach dem Wende-Punkt 1990 noch immer auf der Suche nach einer überzeugenden außenpolitischen Rolle zu sein scheint. Diese Suche kann dabei auch als besondere Verantwortung für die Etablierung gemeinsamer außenpolitischer Initiativen und Strukturen in Europa verstanden werden.

8) Zwischen Hegemonie und Gemeinschaft: Visionen eines geeinten Europa

Visionen eines geeinten Europa gehen dem Zeitraum 1914–2014 lange voraus. Ihre mannigfaltige Geschichte reicht bis in die Römerzeit zurück und war stets unterschiedlichster Art. Für die Römer war Europa vor allem ein geografischer Einflussbereich, im Mittelalter war Europa mit dem Christentum weitgehend identisch, und von der Reformation bis Ende des Zweiten Weltkrieges war der europäische Kontinent der Schauplatz unzähliger Kriege um ökonomische, ideologische oder politische Vorherrschaft zwischen rivalisierenden Herrschern. Hitlers mörderische, rassenbedingte Vision eines geeinten Europas kann u.a. als der ideologisch durchsetzte, menschenverachtende Versuch gesehen werden, Hegemonie in Europa zu erstreben und Europa unter einer einzigen – der deutschen – Nationalflagge zu ‚vereinigen‘. Von den vielen Plänen, Europa nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges neu zu ordnen, hat sich die EWG/EG/EU als die politisch zweckmäßigste Vision eines geeinten Europa durchgesetzt. Angesichts der anhaltenden Krise innerhalb der EU aber stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, z.B.: Ist die EU als Visionsträger noch glaubwürdig bzw. funktionsfähig? Inwiefern lassen sich die jüngeren Pannen innerhalb der EU auf deren Demokratiedefizit zurückführen? Übt insbesondere Deutschland eine Art Hegemonie in Europa mittels der EU aus, oder ist die EU selbst eine Art unverantwortlicher Hegemon? Welche Alternativen zu dieser inzwischen fast 60 Jahre alten EU-Vision lassen sich ausdenken? Und was haben uns dabei die nicht verwirklichten politischen und kulturellen Ideen eines geeinten Europa im 20. Jahrhundert (z.B. die Visionen von Masaryk, Coudenhove-Kalergi oder Briand) zu sagen? Gibt es im 21. Jahrhundert neue und kreative Ideen, den gegenwärtigen Problemen zu begegnen? Welche Stimmen melden sich in der Literatur zu Wort und warten Kunst und Kultur mit neuen Visionen auf?

9) Systemwechsel und Diskurswenden: Intellektuelle und die Macht

Die ideologischen und gewaltsamen Brüche des 20. Jahrhunderts haben in Deutschland und darüber hinaus akademische Diskurse und die Biographien von Intellektuellen und Wissenschaftlern aufs Tiefste geprägt. In reflexiver Absicht fragt dieses Panel nach „Konjunkturen“ und Wende-Punkten im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik. Dazu gehören der Umgang von Intellektuellen mit totalitären Herausforderungen, ihre Nähe oder Distanz zur Macht in unterschiedlichen Herrschaftssystemen, routinierte oder erzwungene Grenzüberschreitungen (Netzwerkbildung, Emigration, Exil), „Säuberungsprozesse“ an akademischen Institutionen sowie insgesamt die komplexen Interaktionen zwischen politischer Vision und wissenschaftlicher Wahrheitssuche. Welche Spuren hinterließ das zwanzigste Jahrhundert an Akademien, Universitäten und in den Figurationen der wissenschaftlichen Disziplinen unserer Gegenwart?

Datum und Ort

11. - 13. Dezember 2014 in Berlin

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