Kunst und Stacheldraht

Im Zuge des Frankreichsfeldzuges fielen ca. 1,8 Millionen französische Soldaten und Offiziere in die Hände der Wehrmacht. Knapp 1 Million unter ihnen verbrachte 5 Jahre in deutscher Gefangenschaft, u.a. in Offizierslagern (Oflag) und Stammlagern (Stalag). Am 31. Juli trafen in der westfälischen Stadt Soest ca. 1300 französische Offiziere und ihre Ordonnanzen ein. Ziel der Reise war das Oflag VI A, eine 1938 als Infanteriekaserne geplante Anlage. Die Anwesenheit zahlreicher Akademiker und Geistlicher prägte den Alltag des Lagers, das sie wider Erwarten in einen Ort intellektueller und geistiger Aktivität verwandelten. Eine Universität wurde gegründet, Theater und Orchester-Aufführungen sowie Kunstausstellungen fanden regelmäßig statt. Die beeindruckenste Initiative der Gefangenen des Oflag VI A bestand jedoch in der Gestaltung der so genannten « französischen Kapelle ». Die Wände eines weiß gekalkten, nach Westen hin schrägen Dachraums, nur sieben mal sechs Meter groß wurden von Guillaume Gillet (Prix de Rome 1946) und René Coulon, beide Architekten und Maler (Absolventen der Ecole des Beaux Arts in Paris), im Sinne der christlichen Tradition bemalt. Durch die Auswahl der Farbe und die künstlerische Interpretation des ikonographischen Programms, welches stark auf die verlorene Heimat und auf den Wunsch nach baldiger Befreiung verweisen, schufen die Künstler nicht nur einen Gottesraum, sondern auch ein Stück Frankreich. Die französische Kapelle stellte für viele Gefangene eine Verbindung zu Frankreich sowie eine Möglichkeit dar, der Realität der Gefangenschaft zu entfliehen. Sie war also Ort und Ausdruck der Strategien des Überlebens. Die Kapelle bildet heute den Kern einer sich im Werden befindenden deutsch-französischen Begegnungsstätte. Das einstige Lager wird zum offenen Raum, ein Ort der Erinnerung, der Begegnung, des Austausches und der Kultur. In dem Block I des ehemaligen Oflag VI A - unter der « französischen Kapelle » - werden sich am 17. Oktober 2009 deutsche und französische Nachwuchswissenschaftler sowie Vertreter der Zivilgesellschaft mit dem Thema « Kunst und Stacheldraht » auseinandersetzen. Der Begriff „Stacheldraht“ weist zwar auf die Erfahrung der Gefangenschaft, der Deportation, der Internierung hin, er sollte aber auch andere Bedeutungszuweisungen reflektieren: Grenzen, Ausgrenzung, Exil. Der Stacheldraht kann materieller oder ideeller Natur sein, die Erfahrung der Ausgrenzung dem Künstler aufgezwungen werden oder aber von ihm gewollt sein. Die Tagung zielt auf eine interdisziplinäre Betrachtungsweise der Natur und Funktion des künstlerischen Schaffens hinter dem Stacheldraht ab. Anhand von verschiedenen Fallbeispielen werden die vielfältigen Funktionen von künstlerischem Schaffen im Kontext totalitärer Herrschaft untersucht. Als zentrale Frage gilt es zu erörtern, welchen Beitrag die ästhetische Erfahrung in Kreation und Rezeption von Kunst als Teil von Überlebensstrategie, Verarbeitung, Reflektion, Opposition und Überwindung extremer Lebensbedingungen leistet. In diesem Sinne werden künstlerische Aussagen ebenfalls als Spiegelbilder der Zeitgeschichte in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seiner Ideologie betrachtet. Alle Vorträge konzentrieren sich - in Anlehnung an den Tagungsort - auf deutsch-französische Thematiken von 1933 bis 1949. Die Tagung richtet sich an Forscher der Disziplinen Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Museumspädagogik, Medien- und Filmwissenschaft.

Ort

Adam-Kaserne
Meiningser Weg 20
59494 Soest

Datum

17.10.09

Sprache

Deutsch Eine Veröffentlichung der Vorträge ist geplant.

Kontakt

Cécile Bonnet: (bonnet_cecile@gmx.de)
Martina Möller: (martina.moeller@univ-provence.fr)

Publié le

Date

Documents

2009_10_17_stacheldraht.pdf , Bilan_Barbeles.pdf