"Frieden schließen": Multidisziplinäre Ansätze zu Friedens- und Versöhnungsprozessen.

3. Deutsch-Französische Studientage der Maisons des Sciences de l’Homme der Region Grand Est

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Wie zeigte sich im Laufe der Geschichte und von einer Gesellschaft zur anderen die Kunst des "Friedenschließens"? Welche Veränderungen betreffen die politischen, sozialen und rechtlichen Praktiken, die die Befriedung der Beziehungen zwischen zwei Gesellschaften herbeiführen oder markieren? Wie sieht die Geschichte der sozialen Formen des "Friedenschließens" und der Versöhnung aus? Gibt es einen spezifischen deutsch-französischen Beitrag zur Kunst des Friedensstiftens und, wenn ja, worin besteht dieser?

Die Veranstaltung, die im Rahmen der deutsch-französischen Studientage der Maisons des Sciences de l’Homme der Region Grand Est organisiert wird, geht von der Feststellung aus, dass sich die deutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg als Laboratorien der Versöhnung zwischen zwei Ländern im Krieg darstellen lassen. Sie will die deutsch-französischen Beziehungen in einen breiteren historischen und geographischen Kontext stellen und durch einen konstruierten Dialog mit anderen Zeiträumen und geographischen Gebieten den Charakter eines ‚Modells‘ hinterfragen, der der deutsch-französischen Versöhnung zugeschrieben wird.

Die Frage nach dem Frieden im Jahr 2023 zu stellen, ist in vielerlei Hinsicht berechtigt. Selbstverständlich ist sie in einer Zeit zahlreicher und brutaler militärischer Konflikte, sowohl in Europa als auch weltweit, besonders akut. Im deutsch-französischen Kontext ist 2023 auch ein Doppeljubiläum: 60 Jahre Élysée-Vertrag, ein Meilenstein der deutsch-französischen Versöhnung, und 375. Jahrestag der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens, der auf dem ersten multilateralen Kongress in der Geschichte geschlossen wurde und einen deutsch-französischen Frieden besiegelte, der wiederum als Referenz für alle Verträge zwischen dem Königreich und dem Alten Reich vor 1789 diente. Trotz der Heftigkeit ihrer Konfrontationen konnten die deutsch-französischen Beziehungen den Weg für eine Tradition der Konfliktlösung und eine Art Kunst des Friedensschlusses ebnen, die durch diese beiden Verträge veranschaulicht wird. Auf internationaler Ebene wird die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg oft als beispielhaft angesehen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs hat auch bekanntlich eine Reihe von politischen und rechtlichen Instrumenten für die Beendigung des Krieges (neu) erfunden oder geschmiedet (vom internationalen Militärgerichtshof der Nürnberger Prozesse bis zu den Vereinten Nationen), so wie lange davor der Westfälische Frieden Instrumente für die Konfliktbeilegung  geschaffen hatte, die auf der Wiederherstellung der Freundschaft, der Amnestie und der Wiederbelebung der Wirtschaft beruhten und ein Modell für multilaterale Verhandlungen entwarfen, das die großen Kongresse der folgenden Jahrhunderte inspiriert hat.

Diese Tagung setzt darauf, dass ein fruchtbarer Dialog zwischen Spezialisten verschiedener Disziplinen und aus unterschiedlichen geografischen Gebieten entstehen kann, der sich um die Frage der Kunst und Techniken des Friedens dreht: was die Fähigkeit zum Friedensschluss ausmacht; die Bedingungen für den Erfolg der Versöhnung; die Arten, Frieden herzustellen und die Formen der Befriedung und Versöhnung von Gesellschaften. Oder anders ausgedrückt: Wie wird in der Geschichte Frieden gemacht? Welche Instrumente werden eingesetzt, um militärische Konflikte zu beenden oder Frieden auf Dauer herzustellen? Inwiefern haben die Kriege, in die Frankreich und Deutschland verwickelt waren, dazu beigetragen, Wege aus dem Krieg und zur Versöhnung zu (er)finden? Welche Institutionen — national oder international — sind in der Lage, Gesellschaften nach einem Krieg zu befrieden? Kann man eine Geschichte des Friedens schreiben, wie man eine Geschichte der Kriege schreiben kann und konnte?

Die geplante Tagung zum Thema „Frieden schließen“ strebt an, zu einer allgemeinen Reflexion über die Geschichte des Friedens und der Verträge in einer perioden- und disziplinübergreifenden Perspektive beizutragen. Eine solche Öffnung würde es ermöglichen, die deutsch-französische Geschichte des Friedens, die manchmal als eine isolierte Besonderheit gedacht wird, wieder in einen breiteren Kontext einzubetten. Dieser Dialog, den wir uns erhoffen, wird zu einer nuancierten Einschätzung ihres Wertes als einem Beispiel seiner (oft mehr behaupteten als bewiesenen) besonderen Rolle und seiner Grenzen führen. Über diesen Beitrag hinaus sollen sich aus dem Dialog neue Wege ergeben, den Frieden in seiner Geschichtlichkeit zu denken. Zu diesem Zweck werden Friedensprozesse nicht nur als politische und rechtliche, sondern auch als soziale und kulturelle Herausforderungen interpretiert, die auf der Beteiligung zahlreicher Akteursgruppen auf sehr unterschiedlichen Ebenen beruhen.

Um diesem Vorhaben gerecht zu werden, ist das Programm in zwei Schwerpunkte unterteilt.

  • Schwerpunkt 1 wendet sich den Prozessen der Befriedung und des Vertragsabschlusses zu und nimmt dabei eine diachrone Perspektive ein. Beiträge zu den konzeptuellen, philosophischen und rechtlichen Grundlagen des Friedens und den Praktiken seines Abschlusses sind ebenso willkommen wie kulturelle Ansätze zu Friedensprozessen, Studien zu institutionellen Akteuren und sozialen Gruppen, die an Friedensaufbau- und Versöhnungsprozessen beteiligt waren, sowie zu ihrer Rolle in Kunst und Literatur, unabhängig davon, ob sie die deutsch-französischen Beziehungen betreffen oder nicht.
  • Schwerpunkt 2 konzentriert sich auf die Bilanz der Friedensprozesse nach den deutsch-französischen Kriegen, mit besonderem Interesse an der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg, sowie auf die Herausforderungen, denen sich beide Länder gegenübersehen, und zwar aus einer politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Perspektive gleichermaßen. Beiträge, die aktuelle Probleme ansprechen, sind willkommen.

Die Tagung richtet sich an alle Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften, von Politikwissenschaft und Geschichte über Soziologie und Philosophie bis hin zu Sprach- und Literaturwissenschaften, Rechtswissenschaften und Kommunikationswissenschaften.


Vorschläge für Beiträge nicht nur von etablierten Forscher*innen, sondern auch von Doktorand*innen und Postdocs sind ausdrücklich erwünscht.

Terminkalender und praktische Informationen

  • Die Veranstaltung findet am 16. und 17. März 2023 an der Université de Haute-Alsace (Mulhouse) statt.
  • Arbeitssprachen der Tagung sind Französisch und Deutsch. Eine zumindest passive Kenntnis beider Sprachen ist wünschenswert.
  • Vorschläge im Umfang von etwa 2.000 Zeichen, auf Französisch oder Deutsch verfasst, sind bis spätestens 15. November 2022 an jfa-msh.2023@uha.fr zu richten.
  • Die Ergebnisse der Auswahl der Bewerbungen werden bis zum 23. Dezember 2022 bekannt gegeben.
  • Die Reise- und Unterbringungskosten werden übernommen.

Organisation

Das Kolloquium wird von den Universitäten Haute-Alsace, Straßburg und Lothringen im Rahmen der Partnerschaft der Maisons des Sciences de l’Homme aus Elsass und Lothringen organisiert und vom Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA) unterstützt.

Organisationskomitee:
Régine Battiston, Guido Braun, Nicolas Brucker, Aude-Marie Certin, Karim Fertikh, Sonia Goldblum, Reiner Marcowitz, Sylvain Perrot

Kontakt

jfa-msh.2023@uha.fr

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-

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Lieu

Mulhouse