Abgeschlossene akademische Räume ? Reflektionen zur (Nicht-) Zirkulation der EU- und Integrationsforschung zwischen Deutschland und Frankreich

Die Tagung soll die Möglichkeit des Austauschs über die Verortung der Europastudien in Frankreich und Deutschland bieten. Ziel ist es, zur Entwicklung eines reflektierenden Ansatzes zur Produktion von Wissen zur Europäischen Union und zur Europäischen Integration beizutragen. Dies bietet sich insbesondere an, da EU relevantes Wissen inzwischen teilweise stark institutionalisiert ist und in verschiedenen Phasen des Gemeinschaftsprozesses von politischen Akteuren oder Aktivisten mobilisiert wurde (Dinan 2010, Vauchez, 2013; Rosamond, 2015; White, 2003). In jüngerer Zeit war im Gegensatz dazu die „Normalisierung“ der Fragen und des methodischen Apparats der EU relevanten Forschung vielerorts von einem erneuten Aufgehen der EU-relevanten Forschungsobjekte in den „traditionellen“ Disziplinen begleitet, aus denen sich die Integrations- und Europaforschung ursprünglich emanzipiert hatte. Ziel der Konferenz ist es daher, jungen Wissenschafltern einen Raum zum Nachdenken über die Forschungsprozesse im Bezug auf EU- und genereller internationale Forschungsobjekte zu bieten. Gleichzeitig fragt die Tagung, unter welchen Bedingungen Fragestellungen, Methoden und Forschungsergebnisse von einem Forschungsraum zum anderen zirkulieren oder nicht.
Zu diesem Zweck versucht die Konferenz, zwei Forschungsstränge zur Strukturierung EU-relevanter Studien zu verknüpfen. Einerseits haben zahlreiche Studien gezeigt, dass die European Studies einen Raum der Kreuzungen und Schnittpunkte („espace carrefour“) darstellen (Robert, Vauchez, 2010). Dieser Raum ist sowohl durch die Porosität zwischen politischen Eliten und Universitätsakteuren gekennzeichnet als auch durch eine starke transnationale Dimension, die die Verbreitung und Stabilisierung gemeinsamer intellektueller Rahmen (Wissen, Theorien, Kategorien, usw.) ermöglicht. Andere Arbeiten haben darauf hingewiesen, dass selbst in einem von transnationaler Dynamik geprägten Raum eine solche Rahmenbildung nicht stattfindet - oder dass zentrale Konzepte in Laufe der Zirkulation grundlegend umdefiniert werden. Tatsächlich haben sich die EU- und Integrationsforschung auch national und lokal nach den jeweiligen kontextbezogenen politischen und akademischen Bedingungen strukturiert (Bailleux, 2014; Davies, 2012; Larat, Mangenot, Schirmann, 2018). Dies mag Aufschluss über bestimmte wissenschaftliche - aber auch politische - Unterschiede im Verständnis der Europäischen Union und Integration geben (Warlouzet, 2014): Zum Beispiel die Tendenz in Frankreich, die Europäische Integration durch das Prisma des internationalen öffentlichen Rechts zu betrachten, während in deutschalnd die Volkswirtschaftslehre und das Wirtschaftsrecht eine grössere Rolle spielten (Canihac 2016). Die konkrete Artikulation zwischen diesen verschiedenen potenziellen Prozessen (Annäherung oder Differenzierung), Analyseobjekten (transnational, national, lokal) und Methoden (reflexiv oder positivistisch) bleibt jedoch wenig untersucht.
 
An diesem noch unterbelichteten Aspekt setzt die Tagung an. Sie interessiert sich insbesondere für die Gründe für die (Nicht-) Verbreitung von Wissen, Theorien und Methoden zwischen verschiedenen akademischen Gemeinschaften. Hierbei wird die Tagung insbesondere die Kreuzungspunkte zwischen der deutschen und französischen Forschungslandschaft in den Blick nehmen (Zimmermann, Werner, 2003), zwei Länder, die bei der Definition der EU- und Integrationsforschung eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Deutsch-französische Universitätsorganisationen, Kulturzentren oder Institutionen wie das Marc-Bloch-Zentrum sind Räume, die die Konstruktion von Forschungs- und Gemeinschaftsprojekten, der Verbreitung von Ideen - oder der Konfrontation von Ansätzen und Traditionen fördern sollen. Solche Räume finden sich aber auch an anderen Orten, die die nicht spezifisch deutsch-französisch sind: im Rahmen von Projekten, die von der Europäischen Union finanziert werden, der Zusammenarbeit zwischen nationalen Forschungsagenturen oder schließlich von Forschungseinrichtungen in anderen europäischen Ländern oder auch in den Vereinigten Staaten. Wie diese Schnittstellen zur Entstehung gemeinsamen Wissens beigetragen haben (oder nicht), wird selten untersucht. Warum zirkulieren dort bestimmte Kenntnisse, während andere stark national bleiben? Wie werden dort gemeinsame Projekte in der Praxis aufgebaut? Welche Rolle spielen disziplinarische Grenzen bei der Konstruktion von Wissen? Mit anderen Worten, es geht hier darum, den Zusammenhang zwischen der Konstruktion von Schnittstellenräumen und der (Nicht-) Entstehung eines gemeinsamen Instrumentariums für das Verständnis Europas in Frage zu stellen.
 
Wir schlagen zwei Reflexionslinien vor, die andere Fragen nicht ausschließen sollen:
1. Aufbau und Verbreitung von akademischem Wissen in der EU- und Integrationsforschung / innerhalb deutsch-französischer Kooperationsräume: Welche Rolle (n) spielen diese Schnittstellen bei der Strukturierung von EU- und Europaforschung in beiden Ländern?
2. Die Konstruktion von Gemeinsamkeiten oder Differenzen auf theoretischer / empirischer / methodischer Ebene zwischen Forschern aus beiden Bereichen: Welche Auswirkungen haben sie auf die theoretischen / empirischen Orientierungen EU-relevanter Studien in Frankreich und Frankreich? in Deutschland?
Das Kolloquium steht den verschiedenen Disziplinen offen, die sich in den letzten Jahren mit dieser Frage befasst haben.

Programm

Das Programm können Sie oben rechts herunterladen.

Kontakt

Hugo Canihac (hugocanihac@gmail.com), Université Saint-Louis, Bruxelles
Vincent Lebrou (vincent.Lebrou@misha.fr), Université de Franche-Comté, Besançon
Anja Thomas (anja.thomas@eui.eu), Institut universitaire européen, Florence.
Francisco Roa Bastos (froabastos@gmail.com), Université de Strasbourg, Strasbourg
 

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